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Interview mit Branchenexperten

Veränderungen in der Gastronomie und deren Chancen - ein Gespräch mit Branchenexperten

Die letzten zwei Jahre waren stark durch Corona geprägt. Mit Fachpersonen der Gastronomiebranche haben wir über die aktuellen Herausforderungen und daraus entstehenden Chancen gesprochen. Lesen Sie hier, wie Sie die Tipps aus den Interviews für Ihren Gastronomiebetrieb nutzen können.

Rückblick

Seit Mitte März 2020 lauschte die Bevölkerung immer wieder gebannt den Beschlüssen des Bundesrates, die während Medienkonferenzen verkündet wurden. Kaum eine andere Branche war von diesen Einschränkungen so stark betroffen wie die Gastronomie. Gastronominnen wurden von den ständig wechselnden Vorgaben und Regeln stark eingeschränkt. Kaum scheint die Pandemie überstanden zu sein, wird die Gastronomie durch die aktuellen Geschehnisse vor neue Herausforderungen gestellt.

Um herauszufinden, wie es aktuell um die Gastronomie steht, haben wir der Branche auf den Zahn gefühlt. Marisa Hänggi-Cueni und Thomas Wiederkehr haben Ihre Restaurantbetriebe während der Pandemie eröffnet und Ihre Erfahrungen mit uns geteilt. Martin Waeber, Managing Director Real Estate bei der SMG Swiss Marketplace Group, hat uns einen Einblick in die Immobilien-Situation bezüglich Gastronomie-Objekten gewährt. Urs Messerli ist Berner Gastronomie-Berater, Restaurantinhaber und Sensoriker, welcher die Branche aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet hat. Und Daniel Wiesner führt zusammen mit seinem Bruder im Co-Leading die Familie Wiesner Gastronomie AG, zu welcher eine Vielzahl an Gastronomiebetrieben gehören. Spannende Aussagen und Tipps erwarten Sie zu fünf relevanten Themengebieten.

Gästebedürfnisse & Gästebewusstsein

Die Bedürfnisse Ihrer Gäste zu kennen ist für den Erfolg eines Gastronomiebetriebs von zentraler Bedeutung. Gemäss unseren Fachpersonen gab es auch in dieser Hinsicht einige Veränderungen. Die Gäste von heute mögen es gerne unkompliziert und schnell, legen aber dennoch verstärkt Wert darauf, dass ihre Mahlzeiten frisch aus saisonalen & regionalen Zutaten zubereitet werden. Zudem wird vermehrt geschätzt, wenn sich ein Betrieb aktiv für Nachhaltigkeit einsetzt und sich gegen Foodwaste positioniert.

Urs Messerli weist zudem darauf hin, dass es auch in der Gastronomie eine individualistische Wende gegeben hat. Der Gast von heute will flexibel zwischen verschiedenen Ernährungsstilen, Küchen und Uhrzeiten wählen können.

Die Eventplannerin Marisa Hänggi-Cueni berichtet, dass sie momentan einen enormen Boom an Firmenanlässen, Teamevents, Geburtstagsfesten oder weiteren Festivitäten beobachtet. „Die Leute haben wieder deutlich mehr Lust, Feste zu feiern, das erfreut ihr Gastronomie-Herz.

Hänggi-Cueni, Wiederkehr und Wiesner betonen die Wichtigkeit der Aussensitzplätze, die mit Corona nochmals an Bedeutung gewonnen haben. Diese seien mittlerweile so wichtig, dass es ohne sie fast unmöglich sei, ein wirtschaftlich erfolgreiches Geschäft zu führen. Dementsprechend lohnt es sich, ins Aussendesign zu investieren, insbesondere für Betriebe mit kleiner Innenfläche.

Da es beinahe unmöglich ist, die ganze Palette an Gästebedürfnissen abzudecken, empfiehlt Messerli, sich auf seine Stärken zu fokussieren.

Personen stossen an einem Fest mit einem Glas Wein an.

Arbeitgeberattraktivität

Die allgegenwärtige Problematik des Fachkräftemangels war auch während unserer Interviews spürbar. So berichteten Messerli und Wiesner von einer starken Abwanderung des Personals in andere Branchen, betonen aber auch, dass der Personalmangel schon vor der Pandemie ein Problem darstellte und nun einfach verstärkt wurde. Die Branche braucht Lösungen und ein Umdenken.

Damit die Gastrobranche wieder an Attraktivität gewinnt, braucht es bessere Arbeitszeiten, wegfallende Zimmerstunden, weniger Stress und letztlich mehr Lohn. Um dies zu erreichen, bedarf es ganzheitlicher Lösungen, wobei eine alleinige Lohnerhöhung nicht zielführend sein wird. Messerli und Wiesner erachten beispielweise die Vier-Tagewoche als vielversprechend und umsetzbar. Thomas Wiederkehr erzählt „Um auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden einzugehen, haben wir in „Die Station“ über eine Woche gemeinsam an attraktiven Arbeitsplänen getüftelt“. Wie bei den Gästen sollte die Gastronomie auch auf die individuellen Bedürfnisse des Personals eingehen. Nebst den bereits erwähnten Faktoren können auch Weiterbildungsmöglichkeiten, Wertschätzung, Arbeitsklima und Führungsmethoden einen entscheidenden Beitrag zur Arbeitgeberattraktivität leisten.

Wenn der Personalmangel nicht kurzfristig behoben werden kann, so muss nach Wiesner und Messerli unter Umständen das Betriebskonzept angepasst werden. Beispielsweise durch die Einführung von digitalen Hilfsmitteln, wo der Gast via App bestellen kann. Wenn die Bestellung nur noch serviert und nicht mehr aufgenommen werden muss, können Personalengpässe vermindert werden.

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Kosten und Kostenstruktur

Ein attraktiver Arbeitgeber zu sein wird zwangsläufig zu höheren Kosten führen. Es ist daher einerseits wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wo die Kostentreiber liegen und wo mit Effizienz und guten Ideen gespart werden kann. Insbesondere durch die aktuell hohen Betriebs-, Energie- und Lebensmittelkosten kann es sich lohnen, das Angebot anzupassen oder zu verkleinern.

Andererseits argumentieren sowohl Urs Messerli wie auch Daniel Wiesner, dass ein Teil der höheren Kosten auf den Endkonsumenten übertragen werden kann,­ jedenfalls wenn die Qualität der Produkte und der Dienstleistung stimmt. Thomas Wiederkehr betont in diesem Zusammenhang, dass Gäste bei einer transparenten Kommunikation der Preisstruktur bereit dafür sind, für gute Qualität und ein tolles Serviceerlebnis einen fairen Preis zu bezahlen. Urs Messerli berichtet ausserdem davon, dass sich in den letzten beiden Jahren Phänomene wie das Double Seating oder Reservationsgebühren häuften und auch nach Corona von der Kundschaft akzeptiert werden könnten. Somit können Tische an einem Abend zweimal besetzt und No-Shows verhindert werden, was die Rentabilität eines Gastronomiebetriebes deutlich erhöht.

Ein weiterer wichtiger Kostentreiber sind die Miet- und Raumaufwände, was der Gastrobranche besonders durch Corona vor Augen geführt wurde. Es überrascht daher nicht, dass das Angebot an Immobilienobjekten während der Coronazeit stark zugenommen hat. Im Gespräch mit Martin Waeber hat sich gezeigt, dass insbesondere die Anzahl freier Mietobjekte zugenommen und sich auf einem hohen Niveau festgesetzt hat. Somit haben Neueinsteiger eine grosse Auswahl- und Vergleichsmöglichkeit, was eine spannende Ausgangslage darstellt. Waeber rät angehenden Gastronominnen dazu, Angebote immer zu vergleichen, unabhängig davon, ob es sich um ein Miet- oder Kaufobjekt handelt. Mit einem Suchabo können Gastronomen die verschiedenen Objekte besonders einfach vergleichen, was beispielweise auf den Plattformen ImmoScout24 und Homegate angeboten wird. Schliesslich geht die Suche nach einem geeigneten Standort fast immer mit einer hohen Kapitalinvestition einher. Dazu kommt, dass viele Gastro-Immobilien oft mit einer inkludierten Ausstattung und Gerätschaften verbunden sind. Waeber empfiehlt in diesem Zusammenhang, sich eine Drittmeinung einer unabhängigen Fachperson einzuholen. Gerade bei professionellen Geräten ist die Langlebigkeit sehr hoch, weshalb auch gebrauchte Geräte ein interessantes Angebot darstellen können. „Sollten gewisse Geräte oder Einrichtungen noch fehlen, lohnt sich ein Blick in die hiesigen Online-Marktplätze wie Tutti oder Ricardo.“, so der Immobilienexperte.

Die Betriebsleitung macht die Abrechnung.

Betriebskonzept

Die eben angesprochene Kostenstruktur muss bereits in die Erstellung des Betriebskonzeptes einfliessen. In diesem Zusammenhang empfiehlt Messerli, dass das Betriebskonzept von Beginn an auf dessen Effizienz und Fokus geprüft werden soll. Beispielweise sollten die Öffnungszeiten überdenkt werden und ob zu jeder Tageszeit wirklich die gesamte Speisekarte angeboten werden muss. Dem pflichtet Daniel Wiesner bei und ergänzt: „Meiner Meinung nach liegen hier noch viele Chancen, dass die Gastronomie effizienter wird und gleichzeitig aber auch wieder mehr Gästefokus bekommt.“. In diesem Zusammenhang spricht er von digitalen Tools wie elektronischen Speisekarten oder Easy Order Stations.

Bezüglich der grundlegenden Faktoren eines erfolgreichen Betriebskonzeptes sind sich unsere Fachpersonen einig: Das Betriebskonzept sollte durchdacht, fokussiert, stimmig und konsistent sein. Es lohnt sich, die Konkurrenz in der näheren Umgebung zu analysieren und sich auf eine Nische zu fokussieren. Marisa Hänggi-Cueni hat diese Punkte von Beginn an umgesetzt. Zudem war es ihr wichtig, dass sie Spielraum für Anpassungen und Veränderungen hat. Dies ist ein grosser Vorteil, denn so kann sie auf wechselnde Gästebedürfnisse eingehen und auch einmal etwas ausprobieren.

Während der letzten zwei Jahren musste die Gastronomie sehr flexibel sein und vieles einfach mal austesten. Daniel Wiesner erzählt uns, dass Take-aways und Deliveries vor allem für kleinere Betriebe, die ohnehin nicht für alle Gäste genügend Sitzplätze bieten können, durchaus interessante Geschäftsmodelle sind. Die Familie Wiesner Gastronomie will dieses Angebot auch in Zukunft weiterführen, jedoch getrennt von der klassischen Gästebetreuung. Somit kann sich das Küchenpersonal auf die Bestellungen aus dem Gastraum konzentrieren und das Servicepersonal hat genügend Zeit für die Gäste vor Ort. Währenddessen kümmert sich ein separates Team um die Bestellungen von Take-aways und Deliveries. Die Familie Wiesner Gastronomie macht richtig, was Urs Messerli als Erfolgsfaktor bezeichnet: Im Optimalfall kann das bestehende Betriebskonzept an verschiedenen Standorten eingesetzt werden. Dies führt dazu, dass Synergieeffekte genutzt werden können und damit der gesamte Betrieb effizienter wird.

Persönliche Voraussetzungen

Was die Gastgeberin oder der Gastgeber von heute gemäss allen Interviewten mit sich bringen sollte: Herzblut, Durchhaltevermögen und Realismus statt illusorischem Optimismus. Urs Messerli fasst die persönliche Voraussetzung eines Gastronomen mit MMMM zusammen: „Man muss Menschen mögen“. Für Marisa Hänggi-Cueni ist der Faktor „Herzblut“ wahrscheinlich der entscheidendste. Sie betont dies mehrmals und erwähnt zudem, dass es teilweise viel Geduld brauche. Auch wenn ein Abend einmal nicht erfolgreich, respektive gewinnbringend sei, müsse man am Ball bleiben. Man könne nicht in die Gastronomie einsteigen und von Beginn an damit rechnen, einen grossen Gewinn zu erzielen.

Der Beruf als Gastronomin ist ein multidisziplinärer Job ist. Ohne eine vollständige Auflistung zu liefern, sind Gründer gleichzeitig in der Unternehmensführung, Küche, Buchhaltung, Reinigung, im Marketing, Service und HR tätig. Zusätzlich sollten sie die Gäste immer mit einem Lächeln begrüssen, egal wie stressig ihr Tag war oder wie viel schiefgelaufen ist. Thomas Wiederkehr betreibt nun seinen Betrieb „Die Station“ seit gut fünf Monaten und ist rückblickend froh, dass er vor der Eröffnung das Wirtepatent erlangt hat. Durch den Wirtefernkurs setzte er sich nochmals mit seinem Konzept und seiner Idee auseinander und lernte, diese kritisch zu hinterfragen. Wiesner würde zudem jedem empfehlen, sich auch betriebswirtschaftlich weiterzubilden, denn somit können Kostentreiber frühzeitig erkannt und diesen im Optimalfall entgegengewirkt werden. Es zeigt sich also, dass nicht nur das Betriebskonzept, sondern auch die Person und dessen Fähigkeiten dahinter eine entscheidende Rolle spielt.

Fazit und Tipps

Die letzten beiden Jahre haben nochmals gezeigt, dass kaum eine andere Branche so schnell auf Trends und Veränderungen reagieren kann wie die Gastronomie. Zusammengefasst hat sich in unseren Gesprächen gezeigt, dass die Gastrobranche aktuell zwar vor einigen Herausforderungen steht. Wo es Veränderungen gibt, da entstehen aber auch immer neue Ideen und Chancen. Mit Herzblut, Innovationsgeist und unternehmerischem Willen ist es eine unheimlich schöne Branche, verbunden mit vielen Emotionen und direktem Kundenfeedback. Zeigen Sie Durchhaltevermögen und versuchen Sie die wichtigsten Tipps für sich und Ihren Gastronomiebetrieb zu nutzen:

  • Berücksichtigen Sie die Gästebedürfnisse, aber fokussieren Sie sich auf Ihre Stärken.
  • Suchen Sie nach ganzheitlichen Lösungen, um die Arbeitgeberattraktivität  zu erhöhen, und berücksichtigen Sie die individuellen Bedürfnisse Ihrer Mitarbeitenden.
  • Behalten Sie Ihre Kostenstruktur im Auge und versuchen Sie, die Effizienz Ihres Gastronomiebetriebes zu erhöhen.
  • Versuchen Sie sich mit Ihrem Betriebskonzept auf eine Nische zu fokussieren und integrieren Sie digitale Tools.
  • Zeigen Sie Herzblut und geniessen Sie es, in dieser abwechslungsreichen Branche Ihren Betrieb zu führen.

Unsere Fachpersonen

Thomas Wiederkehr

- Ursprünglich IT-Studium, Programmierer, Creative Director, Restauranttester
- Gastgeber „Die Station“

Marisa Hänggi-Cueni

- KV-Lehre, Direktionsassistentin, Leiterin Administration
- Verwalterin im Kulturforum „Alts Schlachthus“
- Gastgeberin „Bistro nöis“

Daniel Wiesner

- Co-Lead Innovation & Strategy
- Führt mit seinem Bruder das Familien-Gastronomie-Unternehmen „Familie Wiesner Gastronomie“

Martin Waeber

- Managing Director Real Estate, SMG Swiss Marketplace Group

Urs Messerli

- Kochlehre, Gault Millau Koch, Michelin Sternekoch, Kochweltmeister
- Inhaber „mille sens groupe”

Aktualisiert am 20.06.2022